Fränkie goes to New Orleans...

...Nein, das ist keine Anspielung auf die Popgruppe "Franky goes to Hollywood" aus den fernen 80iger Jahren, sondern ein kleiner Reisebericht: von Frank und Iris Bluhm, die im August 2003 durch einen winzigen Teil der riesigen U.S.A. reisten, Zither und Gitarre im Handgepäck.

Unsere Tour begann am 5. August in Chicago, das durch seine gigantische und geschmack volle Baukunst beeindruckt. Wir statteten dem "House of Blues" einen kurzen Besuch ab, blieben aber nicht zum Konzert. Zu viele andere interessante Dinge erlebten wir dort, unter anderem unser Treffen mit Janet und Lou Stessel vom "Chicago Zither Club". Wir verbrachten einen wunderschönen Tag mit anregenden Gesprächen und nicht zuletzt einem "Bayrisch-Amerikanischen Hoagascht". Es ist schon ein verrücktes Gefühl, nach einer Anfahrt durch die multikulturelle Metropole im Holz vertäfelten Hobbykeller bei den Beiden zu sitzen und Stücke der Wegscheider Musikanten zu spielen.

Weiter ging es nach St. Louis. Am Missisippi angelangt, hatten wir den Eindruck, daß hier irgendwie der Süden beginnt. Nach einer enttäuschenden Dampferfahrt mit Kaffee der Marke "Widerlich & Co.", fanden wir den Weg in das schöne, historische Viertel namens "Soulard District". Dort gibt es eine Menge Blueskneipen, Cafes und Restaurants mit Flair und Livemusik, letzteres leider nur am Wochenende. Weil es Montag war, mußten wir uns weiter durchfragen und bekamen schließlich auch den heißen Tipp: Broadway! So heißt die Straße, in der gleich drei Musikkneipen nebeneinander liegen. Zuerst besuchten wir B.B.'s 1: Montags gibt es dort zur Zeit die "Keith Ellis Big Band" mit hervorragendem Mainstream Jazz 2 zu hören, toll arrangiert und gespielt. Wir waren so begeistert, daß wir eine Woche später auf unserer Rückfahrt das B.B.'s noch einmal aufsuchten und zwei CDs kauften.
Nebenbei gesagt, das Essen dort ist auch lecker, typisch amerikanisch und bodenständig, und es wird sogar auf richtigen Porzellantellern serviert. Auf die "Broadway Oyster Bar" neugierig, hörten wir nur ein paar Schritte weiter, guten, erdigen Blues in der Besetzung: zwei E-Gitarren, E-Baß, Keyboard, Schlagzeug, Saxophon und natürlich Gesang......Ain't no sunshine when you're gone, babe...yeah!

On the road again, nächster Zwischenstop: Memphis. Alle Elvisfans werden jetzt enttäuscht sein: keine Wallfahrt nach Graceland. Ein nicht weniger berühmter Sohn dieser Stadt interessierte uns mehr: W.C. Handy 3 dem berühmten Musiker sind im Zentrum der Stadt eine Statue und ein Park gewidmet. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte H. Crump bei seiner Kampagne zur Bürgermeisterwahl den von Handy herausgegebenen Song "St. Louis Blues" verwendet, gewonnen, und damit dazu beigetragen, daß der Blues gesellschaftsfähig wurde.

Nach Einbruch der Dunkelheit pilgerten wir im Touristenstrom durch die Beale Street, die legendäre Musikmeile. Es tönt aus jedem Haus, grelle Leuchtreklame überall, schrille Souvenirshops, ein als Mini-Elvis verkleidetes Kind, allerlei esoterischer Voodoo-Krimskrams und: B.B. Kings Blues Club. Dort hörten wir eine Band, deren Stil man als "Funky Blues" bezeichnen könnte: Moderner, Schlagzeug- orientierter Blues. Optisch und akustisch dominierte die schwarze Sängerin, die irgend etwas mit "Queen" als Namen trägt. Gute Musik gibt es hier, und, nebenbei gesagt, auch prima Steaks!

Nach endloser Fahrt über ein riesiges Straßennetz auf Säulen, das über Sumpflandschaften und Gewässer der Missisippimündung führt, erreichten wir New Orleans bei tropischem Regen. Wir fragten nach dem Weg und verstanden kein Wort, aber die Sprache der Schwarzen hier klingt nach Musik, klingt nach Blues. "Welcome to the swamps", das heißt so viel wie, "Willkommen in den Sümpfen des Missisippi"! Außerdem scheinen die Leute hier einen ganz eigenen Humor zu haben, schwer zu beschreiben, aber der paßt irgendwie zur Musik. Von der Frau an der Hotelrezeption wurde Iris mit "Babe" angesprochen. Weniger komisch fanden wir die morgendliche Lektüre der regionalen Tageszeitung, in der wir so nebenbei einen Blick auf die Todesanzeigen warfen. Immer wieder liest man: Erschossen. Also, Vorsicht, abendliche Spaziergänge sind nicht überall empfehlenswert!

Einquartiert am Rande des berühmten "French Quarter" erlebten wir drei Tage New Orleans pur, eine tropische Reizüberflutung: In der Bourbon Street reiht sich eine Musikkneipe an die Andere, längst haben Stripteaseschuppen, Discoclubs und Karaokebars die Jazzlokale verdrängt, aber mitten im Leuchtreklamen-Lärm-Voodoo-Kitsch-Getümmel fanden wir sie doch: Die legendäre "Preservation Hall". Dem Namen nach hatten wir eine größere Räumlichkeit vermutet, aber tatsächlich ist es ein etwa wohnzimmergroßer Schuppen ohne Klimaanlage, mit Wandvertäfelung Marke Bretterverschlag. Die Menschen drängten sich, die tropische Nacht wurde hier drinnen noch heißer. Hier hörten wir, von der "Preservation Hall Jazz Band" gespielt, all die berühmten, alten Songs: Basin Street Blues, Georgia Brown, St. Louis Blues und wie sie alle heißen. Ein Schild an der Wand, das bis nach Deutschland bekannt ist, sagt: Ordinary request 2$, special 5$, Saints (= Oh when the Saints) 10$. Für Zitherspieler übersetzt bedeutet das etwa: Musikwunsch 2€, Sonderwünsche 5€, Dritter Mann 10€. Der Frontman, ein Schwarzer Trompeter, Sänger und Entertainer par excellence, bat das Publikum um Ruhe, und wir hörten, vom Klarinettisten ergreifend gespielt, "Petite Fleur". Der Pianist begleitete minimalistisch, filigran, einfühlsam.
Für eine Stunde versanken wir in einer anderen Welt und atmeten die Atmosphäre ein, in der die uns so vertrauten Stücke wohl geschaffen worden waren.
In der verbleibenden Zeit streiften wir noch durch die Seitengassen des French Quarter mit seinen Museen, Galerien und Geschäften aller Preisklassen.

Unser privates Roadmoovie ging weiter. Nach einem Ausflug in die Sümpfe des Missisippi mit seinen Krokodilen und einem Badetag am Golf von Mexico verließen wir nach viel zu kurzer Zeit das bunte New Orleans. Wir traten unsere 1000-Meilen-Tour zurück nach Chicago an.
Zwischenstop war Vicksburg, wo wir noch etwas Südstaatenluft schnuppern wollten.
Berühmt wurde die Kleinstadt durch eine entscheidende Schlacht im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861 - 1865), die hier stattfand. Das "Battlefield Museum", das sich heute auf dem 16 Hektar großen Areal befindet, wollten wir besichtigen. Doch alle Museen sollten erst am Nachmittag öffnen, es war nämlich Sonntag. So fuhren wir zum Fremdenverkehrsamt, um zu erfahren, was man so unternehmen kann in Vicksburg. Wir trafen dort unter anderem einen Mann, der Gitarren, Mandolinen und Banjoes hereintrug und kamen mit ihm ins Gespräch. Die "Missisippi Olde Time Music Society" sollte heute hier spielen. Das ist eine Gruppe von Hobbymusikern und auch dem einen oder anderen Profi, die sich dieser Art von traditioneller "Hillbillymusik 4" verschrieben haben. Was wir hörten, war ein Spielkreis von etwa 20 Leuten, die auf Geigen, Gitarren, Mandolinen, Banjos und einem "Washtube Bass" irische Musik mit leichtem Bluesflair spielten.

Zum "Washtube Bass": An eine umgedrehte, große Waschschüssel aus Metall ist ein Seil gebunden. Daran befestigt man einen Stock, der zum Spannen des Seiles gegen den Rand der Schüssel geklemmt wird. Durch Bewegen des Stockes erreicht das Seil verschiedene Spannungsgrade, und der Bassist kann verschiedene Tonhöhen zupfen. Kurzerhand holten wir unsere Instrumente aus dem Hotel und stiegen in die Session ein. Die meisten kannten keine Zither, und so waren alle neugierig auf unseren Beitrag. Wir spielten Volksmusik und Swing, dann spielte die "Missisippi Old Time Music Society" ihre Stücke, und schließlich musizierten wir alle zusammen. Tatsächlich kannte auch hier jemand den unvermeidlichen Dritten Mann, und wir spielten ihn, ohne 10$ zu verlangen (siehe New Orleans, Preservation Hall). Franks Traum, einmal den St. Louis Blues mit Blick auf den Missisippi zu spielen, ging in Erfüllung, und wir tauschten CDs und Adressen aus.
Vier Stunden sprachen und spielten wir mit den Leuten, aus dem Museumsbesuch wurde nichts mehr, aber diese Session hier war sowieso viel spannender für uns gewesen.

Über Memphis fuhren wir zurück nach Chicago, und von dort flogen wir zur letzten Etappe unserer "Tour de Blues und Jazz": New York.
So oft man es auch schon im Fernsehen und auf Fotos gesehen haben mag, der reale Anblick ist gigantisch, schwindelerregend, faszinierend. Wir waren so begeistert, daß wir 15 Kilometer weit durch Manhattan liefen, von Wolkenkratzer zu Galerie zu Museum, immer weiter. Auf dem Gebiet der darstellenden Kunst war das "Metropolitan Museum of Art" das Beeindruckendste, was wir je gesehen haben. Auf unserer "Tour de Jazz" erwies sich das Konzert von Mc Coy Tyner und seiner Band in dem legendären Club "Birdland" als der absolute Höhepunkt. Man muß sich das einmal vorstellen: Ein weltberühmter Pianist, der Jazzgeschichte geschrieben hat. Und wir in der ersten Reihe, an einem Tisch in edler Atmosphäre, direkt vor dem Flügel. Schon die Vorgruppe war exzellent gewesen. Aber jetzt - Mc Coy Tyner 5 im Trio mit Baß und Schlagzeug, nach allem, was wir über diesen Musiker schon gehört und gelesen hatten, die mitreißende Ausdruckskraft, Virtuosität und Spielfreude des Trios - einfach umwerfend!
Nach 12 Stunden New York Marathon waren wir - bei immer noch 30°C mit 80% Luftfeuchtigkeit absolut urlaubsreif, aber glücklich.

Fazit für interessierte Leser: Die Nachahmung unserer Reise ist empfehlenswert, allerdings nicht die Art und Weise, wie wir sie unternommen haben: 4000 Km mit dem Auto in 11 Tagen.
 
1 Hier ist B.B. (Blues Boy) King gemeint, 1925 als Riley King geboren und Blueslegende. Der Gitarrist und Sänger begann als Straßenmusiker und Diskjockey in Memphis, Beale Street. Er kam mit seinen Songs, als der Blues gesellschaftsfähig wurde, auch in die Pop Charts. 1981 bekam er einen Grammy und 1987 wurde er in die "Rock 'n' Roll Hall of Fame" aufgenommen. Er gilt als einer der Urväter des Blues.

2 Stilrichtung des Jazz, die sich zwischen den Extremen des Traditionellen und des Modern Jazz bewegt, zeitgenössische Variante des Swing.

3 William Christopher Handy (1873 - 1958), studierte Musik, war Bandleader , Sammler und Komponist volkstümlicher Melodien der Afroamerikaner. Einige dieser Songs wurden zu Standards, der wohl bekannteste davon ist "St. Louis Blues".

4 Als "Hillbillies" bezeichnete man die vorwiegend irisch- und britisch stämmigen Siedler aus den "Blue Ridge Mountains", deren häufigster Vornamen wohl "William" war.

5 Mc Coy Alfred Sulaimon Saud Tyner, geb. 1938, Pianist und Komponist. 1960 - 1965 spielte er im "John Coltrain Quartett" und war maßgeblich daran beteiligt, daß dies das einflußreichste Quartett der Jazzgeschichte zu jener Zeit wurde. Der Ende der 50iger Jahre von Musikern wie Miles Davis, John Coltrain und Mc Coy Tyner entwickelte Stil wird als "Modaler Jazz" bezeichnet und erweiterte die improvisatorische Freiheit des Solisten.